«Heute sind die Jungs völlig aufgelöst vom Gestaltungsunterricht zu mir gekommen. Es gab eine riesige Diskussion und Aufregung in der Klasse wegen der neuen Lehrperson, die sich als non-binär bezeichnet.“ So lautet ein Ausschnitt einer E-Mail von einer Klassenlehrperson.
Die Blätter färben sich Orange, es ist Wahlkampfsaison. Es ist meine erste Schulwoche als Stellvertretung für knapp ein halbes Jahr. Das erste Mal, wo ich als Lehrperson vor einer Klasse stehe. Im Vorfeld habe ich mit der Schulleitung darüber gesprochen, dass ich lieber als V. Cley angesprochen werden möchte – V. als erster Buchstabe meines Vornamens. V. klingt fast wie Frau. Kleiner, feiner Unterschied. Wegen diesem Unterschied beleuchtet zu werden, ist für mich ein unangenehmes Gefühl. Doch mich für eine halbe Sonnenumrundung hinter dieser „Frau“ zu verstecken, das könnt was brechen. Ich war nervös. (Hätte ich nicht eher deswegen nervös sein müssen, weil der erste Tag nahte, an dem ich unterrichte?) Nun denn, ich stellte mich bei 8 Schulklassen vor, inklusive dem sogenannten Outing. 6 der 8 Schulklassen, sind frisch im neuen Zyklus, also der Oberstufe angekommen. Der Moment, wo Schlümpfe zeichnen und erste Zungenküsse nebeneinander einhergehen. Ob sie schonmal was von Nonbinarität gehört haben, frage ich sie. Viele Fragezeichen und ein paar Satzfragmente voll Wissen, meist von Social Media-Kanälen, wie TikTok. Nach dieser kurzen Runde übten wie das Ansprechen ein paar Mal und fuhren weiter mit dem Unterricht. Damit das Thema zu Beginn nicht gleich übermässig viel Raum einnahm, legte meine Co-Lehrperson und ich je nach Klasse und Fragezeichen eine weitere Sequenz über das Thema im Verlauf der Monate ein. Es gab von Vereinzelten, oftmals gleichen Schüler:innen immer mal wieder Fragen zu Geschlecht und (eigener) Sexualität. Meistens war es nebensächlich.
Die beiden anderen Klassen waren bereits in der 3. Real. Dort waren Negativ-Reaktionen lauter und es war zu Beginn nicht ganz einfach für mich, mich abzugrenzen. Es gab Momente, wo Schüler:innen mir nicht die Hand geben wollten, weil sie sich vor mir ekelten, so die Begründung. Das Klima wurde über die Monate freundlicher, wohl ganz einfach, weil wir uns kennenlernten. Jugendlichen kann ich so viel verzeihen und werde erst Pisst, wenn es bei den Erwachsenen beleidigend wird.
Optisch hätte ich mich gut hinter dieser „Frau“ verstecken können. Aufgrund meines konformen Aussehens und meines einwandfreien Schweizerdeutsch erfahre ich im Alltag auch von repressiven Kräften keine Mikroaggressionen – im Gegensatz zum Beispiel zu einer Person mit dunkler Hautfarbe, welche diese nicht einfach mal so verstecken kann. Manchmal zweifle ich an meinem Entscheid und denke darüber nach, ob ich es wieder in so einem Kontext machen würde. Die Optionen: 1. Mich hinter „dieser Frau“ verstecken und somit internalisierte Transfeindlicheit verstärken und zusätzlich den Status Quo zu stärken. Oder 2. Meinen Wunsch zu äussern.
Da ich 2. wählte, legte ich mir die Strategie zurecht, extra offen und freundlich zu sein. Wenn ich dies bin, dann haben es die nächsten vielleicht einfacher, nicht gleich als Gefahr oder Geisteskrank eingestuft zu werden. So zumindest meine Hoffnung.
Ein weiterer Ausschnitt aus der E-Mail: „[…] Grundsätzlich finde ich es auch politisch problematisch, wenn dann in der Klasse solche Aufregung entsteht. Kinder erzählen es zu Hause oder einander weiter. Das zieht schnell Kreise und zwar völlig undifferenziert. Solche Aufregung spielt oder kann einer Partei wie der SVP in die Hände spielen.“
Dieser Teil der, bald schon liebgewonnenen Email, kann ich nur so halb halb nachvollziehen. Wem schadet jetzt wem und wollen wir uns nicht einfach mal auf einen Kaffee treffen? Spoiler: Es ist nicht zustande gekommen.
In so Situationen bin ich um das Wissen der Unterstützung von der Schulleitung sehr froh. Ohne dies wäre so etwas nicht möglich. Dankbar bin ich auch, um die Unterstützung von Arbeitskolleg:innen. Einmal zum Beispiel hatte ich den Eindruck, dass mir zwischen die Beine geschaut wurde. Es war, als ob die Person im Lehrpersonenzimmer prüfte, ob sich etwas wölbt. Da war es schön, dies kurz loszuwerden. Ein erfreulicher Moment war ausserdem, als jemensch im Gespräch zum ersten Mal das Wort «Privilegien» für sich entdeckte.
In dieser manchmal unbequemen Zeit habe ich viele subtile Dinge gelernt. Viele sind noch zu klein, um sich in Buchstaben formen zu lassen. Vielleicht wachsen auch Wörter daraus, die für mich neu sind.
Ps. Wir suchten noch eine weitere Stellvertretung mit passendem Profil. Wir haben sie gefunden. Ausserdem trägt sie Kopftuch. Auch sie wird nicht die letzte Person sein, die das tun wird. Um mit meinem Lieblings-Trigger-Mail abzuschliessen: „[…] Wir wollen doch Akzeptanz und noch ist dies ein Thema, welches mit Sorgfalt angegangen werden muss. Mit der Holzhammer Methode wird aus meiner Sicht unnötig Geschirr zerschlagen.“ Ich hoffe, alle Beteiligten sind dieses Mal besser vorbereitet. Wir haben unseres Getan und über das kleine Extra vorgängig informiert. Jetzt wäre doch ein guter Moment, dass die Klassenpersonen Themen wie „Antdisikriminierung“ aufgreifen könnten…